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Sie haben sich 2012 in Cannes kennengelernt. Der Filmfestival-Klassiker: Schauspielerin geht zu Regisseur und sagt, ich würde gern mit Ihnen arbeiten, denken Sie doch an mich, wenn Sie mal eine Rolle haben. War es wirklich so?
DK Genau so. Ich bin überhaupt nur auf diese Party gegangen, um Fatih Akin anzusprechen. Das war meine Absicht, mein Plan.
FA Naja, aber ihr kamt auch von einer beschissenen Party, du und Ewan McGregor. Ihr wart vorher auf dieser Benefizveranstaltung von Sean Penn, die wohl öde war, und dann seid ihr da abgehauen und zu mir rüber. Ich habe nämlich um die Ecke eine Party geschmissen.
DK Ja, kann sein. Aber um dich zu treffen.
War er der einzige Regisseur, den Sie auf diese Art angesprochen haben?
DK Ja klar, was denken Sie denn, nur ihn. Ganz gezielt ihn. Ich habe so viele Jahre auf eine Rolle aus Deutschland gewartet, und das war immer der Traum: Wenn ich je in Deutschland drehen würde, dann mit Fatih. Ich habe »Gegen die Wand« geliebt und »Soul Train«, ich habe alle seine Filme gesehen. Und diese Party war die Gelegenheit. Ich bin fast nie in Deutschland, ich begegne ihm sonst nie. Diese Chance musste ich nutzen.
FA Meine Party war in einem Zelt am Strand, total low budget, null Celebrities. Und dann kamen auf einmal Diane Kruger und Ewan McGregor. Das hat die Party für alle Anwesenden total gesprengt, auf einmal war es die It-Party. Und dann haben wir so Smalltalk gemacht. Sehr nett. Aber wie man halt in Cannes Smalltalk macht: Was drehst du als nächstes, dies, das. Nichts Besonderes. In dem Moment war mir nicht klar, was für eine schicksalhafte Begegnung das sein würde. Ich war natürlich auch betrunken.
DK Ich auch. Ein bisschen Mut angetrunken hatte ich mir schon.
Und dann haben Sie für Diane Kruger eine Rolle geschrieben.
FA Das hat schon noch ein paar Jahre gedauert. Und die Rolle, die sie jetzt spielt, hatte ich ursprünglich sogar für einen Mann geschrieben, einen Mann mit Migrationshintergrund, das hätte ich sein können, so einer. Aber auf einmal fand ich das totlangweilig und dachte, nee, das muss eine Frau sein. Und dann war sofort klar: Das muss ein arischer Typ sein. Also eine deutsche Deutsche. So eine mit blonden Haaren und blauen Augen. Warum, kann ich auch nicht erklären. Intuition. Und dann war die Überlegung: Wen gibt’s denn da als Schauspielerin?
Aber Diane Kruger? Nur weil sie blond ist? Der Film handelt von einer Mutter, die durch einen Terroranschlag Mann und Sohn verliert, es geht um ihren Schmerz, ihre Trauer, ihre Wut, es ist wahnsinnig intensiv, und die Kamera ist ständig an ihr dran. Diane Kruger wird sonst eher als kühl und elegant besetzt, woher wussten Sie, dass sie das kann?
FA Natürlich wusste ich nicht, wie gut das wird. Weiß man ja nie vorher. Meine Frau hat das Casting gemacht, und als mir irgendwann einfiel, Mensch, Diane Kruger, die hat mich doch mal angesprochen, haben wir dann hin und her überlegt. Aber ich mag es gerne, nicht von der Stange zu besetzen. Ich bin zwar ein deutscher Filmemacher und ich mache deutsche Filme, aber ich suche immer nach einer Möglichkeit, mich davon abzusetzen, was meine Kollegen so machen.
Da hätte es vielleicht Veronika Ferres gespielt.
FA Zum Beispiel. Das wäre dann halt ein anderer Film geworden. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung, und das ist ja total wichtig heutzutage. Also: Wie kommt das rüber, wenn – ich rede mal kurz in der dritten Person – Akin mit Diane Kruger arbeitet, wie vermarktet sich das, wie sieht das aus?
Sieht interessant aus.
FA Fand meine Frau auch. Aber schon unter dem Vorbehalt: Wenn sie das kann.
Und dann haben Sie ein Casting gemacht?
DK Es gab kein Casting, nein. Fatih kam nach Paris, um mir das Drehbuch zu bringen. Ich hab’s gelesen und war ein bisschen perplex, dass er mir eine solche Rolle anbietet. Wie Sie sagen, das war nichts, wofür man mich normalerweise in Betracht zieht. Aber mir war klar, dass ich alles tun würde, um das zu spielen. Wir waren dann zum Abendessen und haben lange geredet und dann hatte ich die Rolle.
Sie sind vor den Dreharbeiten nach Hamburg gezogen, um das Umfeld der Figur kennenzulernen. Wie lange haben Sie da gewohnt, um sich vorzubereiten?
DK Einen Monat? Drei Wochen?
Was hat Ihnen Fatih Akin von Hamburg gezeigt?
FA Also, das war kein method acting. Wir sind ein paar Mal abends auf St. Pauli ausgegangen, trinken. Ich hab’ ihr ein paar Kneipen gezeigt, bei denen ich mir vorstellen konnte, dass die Figur da vielleicht als Studentin gejobbt oder in der Nähe gewohnt hat. Ich kenne ja den Schlag Frau, den ich da beschreibe.
Was für ein Schlag Frau ist das?
FA Schanzenmütter. Ottenser Mütter. Mehr Schanze als Ottensen. Oder St. Pauli-Mütter.
Was bedeutet das für Nichthamburger übersetzt?
FA Ein bisschen alternativ angehauchte Frauen, die in Berlin vielleicht in Kreuzberg wohnen würden. Aber Weiße. Keine Kanaken. Lebefrauen, denen man ihre Vergangenheit ansieht und die damit auch im Einklang sind, und die sich irgendwann entschieden haben, eine Familie zu gründen. Alternative Mütter. Keine Ökos, aber so die Schiene.
Empfinden Sie die Figur auch als Frau noch als Alter Ego?
FA Noch mehr sogar. Sie ist viel mehr zum Alter Ego geworden, als die Frau Mutter wurde. Der Typ hatte kein Kind.
Diane Kruger spielt also sozusagen Sie, wenn Sie eine blonde Frau und Mutter wären.
FA Richtig. Mich als Schanzenmutter.
Und die NSU-Mordserie gab den Anlass, den Film zu machen?
FA Nein, das geht viel weiter zurück. Eigentlich bis ins Jahr 1992, Mölln und Solingen ...
... die erste rassistisch motivierte Mordserie an Türken im wiedervereinigten Deutschland.
FA Da war ich 19 und noch auf der Schule. Ich hab’ damals schon einen ersten Entwurf für so eine Story geschrieben, irgendwie musste ich mich mit Neonazis auseinandersetzen. Weil ich ein mögliches Opfer von Neonazis bin. Ich bin ein Kind türkischer Eltern, und deshalb wollen mich bestimmte Kräfte in diesem Land tot sehen. Das muss man erst mal verarbeiten, als Teenie, als Kind, als junger Mann. All die Jahre habe ich immer ein bisschen daran geschrieben, aber die Zeit war nie wirklich reif. Und als dann 2011 die NSU-Sache rauskam, hat mich das nochmal so wütend gemacht. Nicht nur, dass die Nazis losgezogen sind und Türken umgebracht haben, und eine deutsche Polizistin und einen Griechen ...
... sondern dass dann Türken erst selbst als Täter verdächtigt wurden.
FA Die Opfer wurden verdächtigt, ja. Von der Polizei, von der Presse, von der Gesellschaft. Es wurde angenommen, dass die irgendein linkes Ding gedreht haben müssen, weil sie ja Türken sind. Das hat mich so sauer gemacht. Und für einen Filmemacher ist Wut immer ein guter Motor, ein Geschenk. Wenn man die Wut verliert, ist man kastriert.
Sie waren ein paar Mal beim Zschäpe-Prozess, um zu recherchieren. Wie ist das da?
FA Es ist ganz schön öde. Klar, man geht da mit Erwartungen rein, von wegen: Zschäpe, das Monster, ich will ihr in die Augen gucken und so. Und dann sieht man sie nur von der Empore, ganz weit weg. Im Film gibt es auch einen Prozess zu sehen, und ich dachte: Was immer ich mache, mein Film muss spannender sein als das hier. Gleichzeitig sollte es aber realistisch sein. Das ist es jetzt auch, aber gestrafft, sozusagen auf die Perlen reduziert.
Hat man in Los Angeles und Paris, wo Sie leben, etwas von den NSU-Morden mitbekommen?
DK Am Rande. Nicht viel. Meine Mutter hat mir mal etwas davon erzählt. Aber für mich ist die Geschichte des Films universeller. Sie erzählt von den Hinterbliebenen eines Terroranschlags, den Angehörigen eines Todesopfers. Es sind ja in erster Linie die Mütter, Väter, Töchter, Brüder der Ermordeten, die mit dem Verlust klarkommen müssen. Und man hört nie etwas darüber, wie deren Leben weitergeht. Oder ob.
FA Den Vater von Abu Ichweißnichtwie, den sehen wir in den Nachrichten: Mein Sohn war doch so in Ordnung. Von der anderen Seite kennst du nur Nummern, Zahlen. Drei Tote, elf Tote, hundert Tote. Und deren Angehörige kommen gar nicht vor, noch nicht mal in Zahlen. Der Film war die Möglichkeit, einmal einer Hinterbliebenen ein Porträt zu widmen.
DK Klar, der Film wurde von den NSU-Morden inspiriert, aber die Trauer einer Mutter, die Verzweiflung der Hinterbliebenen über die Ungerechtigkeit oder Machtlosigkeit der Justiz, das gilt natürlich ganz genauso für andere Terroranschläge. Und das ist ja leider ständig aktuell.
Es ist Ihr erster deutscher Film, also auch der erste, den Sie auf Deutsch gedreht haben. Spielt man anders, wenn man seine Muttersprache spricht?
DK Ich weiß nicht, ob ich anders spiele, aber ich habe mich auf einmal sehr an meinem Platz gefühlt. Die deutsche Kultur, die mir nach fast 25 Jahren im Ausland etwas fremd geworden ist, war auf einmal so präsent und so, wie sagt man, obvious. Ich hatte oft das Gefühl, gar nicht zu spielen. Es macht bestimmt freier im Kopf, nicht über eine Sprache oder einen Akzent nachdenken zu müssen.
Wenn Deutsche länger in Frankreich wohnen, klingt ihr Deutsch anders, dann sprechen sie so ein Claudia-Schiffer-Deutsch, irgendwie weiter vorne gesprochen, mehr durch die Zähne. Mussten Sie Ihr Deutsch auch erst wieder trainieren?
DK Fatih hat mich ein bisschen geschimpft am Anfang, so ab und zu.
FA Vielleicht in der ersten Drehwoche. Aber es gab keinen Coach oder so. Manchmal, selten eigentlich, wenn sie müde wurde, dann kam es schon mal vor, dass sie etwa »hinzü« gesagt hat statt hinzu. Eigentlich charmant, aber passte halt nicht. Und dann konnte ich ganz charmant zu ihr sagen: Ey, kannst du bitte die Punkte vom U nehmen!
DK Aber sonst hast du eher kritisiert, dass ich zu sehr Hochdeutsch spreche. Ich komme ja aus der Nähe von Hannover, und er meinte immer, nuschel doch mal ein bisschen, damit es mehr nach Hamburg klingt.
Sie heißen eigentlich Heidkrüger und haben Ihren Nachnamen dann internationalisiert. Wessen Idee war das?
DK Ich heiße immer noch Heidkrüger. Aber das kann in Amerika oder Frankreich kein Mensch aussprechen. Mir wurde es irgendwann zu viel, jedes Mal wieder buchstabieren zu müssen. In Amerika wurde Heidkrüger irgendwann zu Heidi Kruger. Und irgendwann hab’ ich gesagt, ist doch Quatsch, das kürze ich ein.
Ich glaube, dass es in Deutschland Ihnen gegenüber deswegen so ein leichtes Beleidigtsein gibt. Nach dem Motto: Nicht genug damit, dass sie das Land verlassen hat, jetzt schämt sich die feine Dame wohl auch noch ihrer deutschen Herkunft.
FA Wir sind ja gerne mal beleidigt. Bei Romy Schneider war das auch so, als sie nach Frankreich gegangen ist. Und Marlene Dietrich ist bis heute die Volksverräterin, die das Land verlassen hat.
Und dann auch noch Model. Da muss man schon ganz oft und begeistert im Kölner Karneval kostümiert mitmachen, damit einen die Deutschen nicht automatisch für hochmütig halten.
DK Aber das Modeln ist eine wichtige Ecke meines Weges gewesen. Davon will ich mich gar nicht distanzieren.
Ist es Ihnen schwergefallen, in diesem Film kein bisschen glamourös zu sein? Sie durften ja in der Rolle nicht so aussehen, dass man denken würde, warum ist die denn nicht mit 16 nach Paris gegangen und ein berühmtes Model geworden?
DK Mir war schon klar, dass ich nicht wie die schöne Helena aus Troja aussehen werde, aber das gehört ja zum Beruf. Sicher, es war angsteinflößend zu wissen, dass man sich hinter nichts verstecken kann. Ich habe mich schon sehr nackt gefühlt. Und es stimmt, am Anfang war es hart, denn, um Gottes willen, man sieht schlimmer aus, wenn man aus der Maske kommt, als wenn man reingeht. Aber das gehörte dazu.
Wann wussten Sie, dass es eine brillante Entscheidung war, Diane Kruger zu besetzen?
FA Noch vor Drehbeginn. Ich habe zur Vorbereitung alle ihre Filme angeguckt. Und da gab’s einen Film, in dem ich sie auch sehr, sehr, sehr gut fand, ähnlich gut wie in meinem Film: »Lebewohl meine Königin« von Benoît Jacob. Léa Seydoux hat die Hauptrolle, aber Diane spielt die so was von an die Wand! Da dachte ich, okay gut, das hat schon mal ein Regisseur geschafft, also kann ich das auch. Da wusste ich, die ist gut. Denn es gab tatsächlich sehr viele Leute aus meinem Bekanntenkreis, von der Volksbühne zum Beispiel, die meinten: Was, du besetzt die? Das ist ein Model, die kann doch nichts.
Wussten Sie von seinen Zweifeln?
DK Ich hab’s gefühlt. Ich selber habe ja auch gezweifelt. Ich war mir nicht sicher, ob es glaubwürdig sein würde, dass ich so ein street girl bin. Ich hatte noch am ersten Tag echt Angst, dass er mich rausschmeißt.
FA What?
DK Okay, ich muss ganz ehrlich sagen, das habe ich immer. Aber in dem Fall nochmal besonders. Ich war mir schon im Klaren darüber, dass der Film, wenn er gut werden würde, eine oder die Rolle meines Lebens sein könnte. Und ja, ich hatte Drehangst. Am ersten Tag ganz schlimm.
FA Der erste Tag ist immer schwierig. Und die erste Szene war auch eine der schwierigsten im ganzen Film. Wir haben chronologisch gedreht, das ist also am Anfang, als die Mutter das Kind bei ihrem Mann im Büro parkt. Enger Drehort, Innenmotiv, man kennt sich noch nicht, ist gleich auf engstem Raum. Und man muss eine Situation kreieren, in der man der Familie glaubt. Das Kind kennt sie nicht, sie kennt das Kind nicht, sie kennt ihren Mann nicht, der Mann kennt sie nicht, alle kennen sich nicht, und alle finden sich wahrscheinlich wahnsinnig doof, und du musst aber glaubhaft wirken wie eine Familie. Aber es darf ja auch nicht so eine Spielberg-Familie sein: Wir sind alle happy, wir sind alle große Umarmer. So eben nicht. Sondern es muss normal sein. Und Normalität zu erschaffen, ist das schwierigste. Drama, Zusammenbruch, dies, das, oh mein Kind ist tot – das kriegt man hin, weil es sehr extrovertiert ist. Man macht drei oder vier Takes und dann hat man das irgendwie. Aber Normalität, Beiläufigkeit, das ist schwierig. Und das war gleich am ersten Drehtag.
Sie sind inzwischen richtig befreundet miteinander, oder?
DK Ja.
FA Ja.
Man käme nicht sofort drauf, dass Diane Kruger, Paris, New York, Los Angeles, und Fatih Akin aus Altona sich so gut verstehen.
FA Die Schöne und das Biest, ne? Ich hab’ dazu eine Theorie: Wenn wir zusammen in die Schule gegangen wären, aufs Gymnasium, hätte ich bestimmt immer gedacht, oh je, die Obertussi, die Blonde, immer mit den Burlington-Socken und so. Und dann hätten wir in der Oberstufe ein paar Kurse zusammen gehabt und wären voll gut klar gekommen miteinander. Man ist nach der Schule zusammen und man raucht zusammen und man geht abends sogar aus, und kann eine Freundschaft entwickeln, ohne dass man heimlich verliebt ist ineinander, ohne dass es irgendwie sexuell ist. Ich kenne solche Freundschaften aus der Schulzeit, die ich mit sehr gutaussehenden Frauen hatte, also damals eher Mädchen, und ich glaube, wir wären sehr gut klargekommen, wenn wir uns in der Schulzeit kennengelernt hätten. Meinst du nicht auch?
DK Ich weiß nicht. Ich glaube, das öffentliche Image, das man angepappt bekommt, stimmt mit der Realität oft nicht überein. Fatih ist so, wie er in Interviews ist, und seine Filme sind so, wie er ist. Ich bin, glaube ich, in Wahrheit ziemlich anders als man mich öffentlich wahrnimmt. Es gehört zu Fatihs Talent, dass er hinter die Fassade schauen kann. Auf so einen Regisseur kann man als Schauspieler wirklich nur hoffen. Es war einfach Glück. Da haben sich die zwei richtigen Leute getroffen.