Hide Text
Kunst an den Wänden, das Mobiliar exquisit: Die Ausstattung von Galeristenwohnungen ist legendär. Die dame ist an der Entstehung dieses Mythos nicht ganz unschuldig. Schon 1929 berichtete die Redaktion im Artikel »Die Wohnung eines Kunsthändlers« von der Bel Etage Alfred Flechtheims und entdeckte dort »Bilder von Picasso, Henri Matisse und Derain, von Max Beckmann und Karl Hofer«, dazu »Skulpturen von Edgar Degas und Aristide Maillol.« Kunst findet man auch im Haus von Philomene Magers und Jan Schmidt-Garre. Allerdings nicht in der Menge wie einst bei Flechtheim – die Arbeiten von Cindy Sherman, George Condo, Cyprien Gaillard, Ed Ruscha und John Baldessari würden sich für eine Petersburger Hängung auch nicht eignen.
Kuratieren ist in den letzten Jahren zu einem Modewort geworden, das für alles Denk- und Undenkbare herhalten muss. Bei Philomene Magers und Jan Schmidt-Garre aber merkt man schnell, dass es in erster Linie heißt, unendlich viele andere Möglichkeiten zu verwerfen. Die ordnende Hand der Galeristin zeigt vielleicht erst auf den zweiten Blick, dafür dann in umso größerer Klarheit: Hier gibt es keine Zufälle.
Jedes Bild hat seinen Platz und jeder Gegenstand seine Geschichte, auch das Haus als solches. Schmidt-Garre bringt grünen und schwarzen Tee aus der Küche. Vor neun Jahren zogen seine Frau und er mit den beiden Söhnen von München nach Berlin. Gerade noch rechtzeitig, bevor der Immobilienmarkt begann, verrückt zu spielen. »Wir hatten Glück«, sagt Philomene Magers, »damals war ein Generationenwechsel im Gange, in unserer Straße hing an jedem zweiten Haus ein Maklerschild.« Eines hatte es ihnen besonders angetan. Ein Architekt hatte es 1929 für sich und seine Familie gebaut. Über Hans Claus ist nicht viel bekannt. »Er war Regierungsbaumeister und hat die Kindl-Brauerei in Neukölln errichtet«, erzählt Philomene Magers. »Und er war offensichtlich von Bauhaus und dem italienischen Razionalismo beeinflusst. Das gefiel uns, vor allem die Verbindung zu Italien.«
Während die Bauhaus-Architektur heute manchmal etwas unterkühlt erscheint, fanden die Italiener Gefallen an exotischen Holzarten und luxuriösen Steinen. An Marmor, rotem und schwarzem Porphyr aus Tunesien oder den Kalksteinen Trients. Hans Claus verwendete für sein Haus sogenannten Cannstatter Travertin, der sich durch eine opulente, augenschmeichlerische Farbigkeit auszeichnet. Da werden Böden und Wandpaneele im Handumdrehen zum Bild, in das man sich versenken kann wie in ein Gemälde des Informel aus den fünfziger Jahren.
Das Gleiche gilt für die wertvollen Holzarten, mit denen Hans Claus baute. Für den Eingang benutzte er Eiche, für die Bibliothek vornehmes, dunkles Mahagoni und im Wohnzimmer wunderschön gezeichnetes, helles Nussbaumholz. »Er ging so weit, dass er an einer Türe zwei verschiedene Furniere verarbeiten ließ«, sagt Jan Schmidt-Garre. »An der Außenseite des Türblatts das eine und an der Innenseite ein anderes. Heute würde jeder Architekt behaupten, dass das völlig unmöglich sei.« In den dreißiger Jahren war die Claus'sche Villa in ein Dreifamilienhaus aufgeteilt worden. Für den Umbau, der nötig war, um sich wieder dem ursprünglichen Zustand anzunähern, versicherte sich das Paar der Hilfe zweier kongenialer Freundinnen, der Architektin Gesine Weinmiller und von Ingrid von Werz, der ehemaligen Chefredakteurin der Zeitschrift AD.
Was die Möbel angeht, so brachten Philomene Magers und Jan Schmidt-Garre vieles aus ihrer Schwabinger Wohnung mit. Und auch hier ist es so: Zu jedem Stück existieren Geschichten, Querverweise, Aperçus. Man kann sich den gedanklichen Raum, in dem die beiden in ihrem Alltag zuhause sind, gar nicht reich genug vorstellen. Die Kunsthistorikerin Philomene Magers führt mit Monika Sprüth eine Galerie, die Dependancen in London und Los Angeles unterhält und zu den wenigen echten Global Players der zeitgenössischen Kunstszene zählt. Mit den Künstlerinnen und Künstlern aus ihrem Programm könnte man allein ein sehr ansehnliches internationales Museum bespielen. Jan Schmidt-Garre hat nach dem Philosophiestudium Drehbücher geschrieben und bei Dokumentar- und Spielfilmen über den Dirigenten Sergiu Celibidache, italienische Sänger, Chopin oder Bruckner Regie geführt. Seit ein paar Jahren inszeniert er auch Opern, zuletzt »Arabella« in Leipzig, als nächstes Beethovens »Fidelio«. So kommt es, dass man mit den beiden in der Halle steht und über die reizenden Wandleuchten spricht, die sie in Upstate New York kauften. Und bald umstandslos bei Bertolt Brechts Lehrstück »Die Maßnahme« angelangt ist, an deren chinesische Kulis die Leuchten erinnern (sie werden von kleinen bronzenen Wasserträgern gehalten).
Oder die Le Corbusier-Stühle aus der Bibliothek von Chandigarh: Philomene Magers kaufte sie für ihren Mann, als der häufig in Südindien war, um seinen Film »Der atmende Gott« über die Ursprünge des modernen Yoga zu drehen. So stößt man beim Gang durch das Haus überall auf das Besondere, Originelle. Auf eine Stereoanlage von Brionvega aus den 70ern oder auf Vasen und Lüster von Venini aus Murano. Der Tee, den wir trinken, wird in Kännchen von Giò Ponti warm gehalten. Und das kleine Bücherregal über unseren Köpfen stammt aus Le Corbusiers Maison du Mexique in der Pariser Cité Internationale Universitaire. »Man denkt dabei ein bisschen an Donald Judd, nicht?«, sagt Philomene Magers. »Aber Judd hätte die Seitenwand nicht schräg gesetzt.« Jeder einzelne dieser Gegenstände ist Teil eines dicht geknüpften Gewebes aus Wissen und Erinnerungen, Erlebtem und intellektuellen Bezügen. Im Grunde ist dieses Haus wie eine Biografie seiner Bewohner. Eine Erzählung aus vielen Erzählungen. Mit der Besonderheit, dass deren eng bedruckte Seiten aus Objekten bestehen.