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Natürlich schreibt man einen Text über das Rauchen um drei Uhr nachts in einem Morgenmantel. Mit einem solchen übersteht man jede Nacht fabelhaft. Ansonsten braucht es nur weniges, unbedingt jedoch einen schlichten rubinroten Aschenbecher aus venezianischem Glas. Denn Glas sollte aus Venedig kommen, darunter sollte es auch nachts keine Raucherin machen. Die Zigarette steckt bitte in einer Zigarettenspitze, kühlt den Rauch und macht ihn milder. Es ist nicht einfacher geworden mit der Zeit, eine hübsche, schwarze Bakelit-Zigarettenspitze aus den 30er-Jahren aufzutreiben, aber immer noch gibt es Wege und Möglichkeiten.
Entzündet werden Zigaretten mit einem Benzinfeuerzeug, der Damenvariante. So viel Komplikatesse muss sein: Es gilt, einen Deckel aufzuschnippen, ein sinnliches Startsignal zu geben, bevor die Flamme entfacht werden kann. Im Notfall dürfen es auch Streichhölzer sein, im besten Fall eines dieser hübschen Heftchen, das mit sentimentalen Erinnerungen an einen Restaurantbesuch behaftet ist. Solche Hölzchen sind kostbar, jedes eine Erinnerung an Speisen mit hübschen Namen wie Stuzzichini oder Pignolata, an hinreißende Stunden mit einem überzeugenden Mann.
Wer nachts arbeitet, hat tagsüber andere Dinge zu tun, meist triviale Angelegenheiten. »Wenn man rauchende Frauen anruft«, formulierte der Schriftsteller Wiglaf Droste, »sagen sie Sachen wie ›Nein, ich kann jetzt nicht, ich muss gerade meine Haare entbeinen‹, und dann hört man sie einen tiefen Zug aus der Lulle nehmen. Man sieht sie vor sich, wie sie da in ihrer Küche sitzen, inmitten einer gigantischen Unordnung, und den ganzen Tag tun sie sinnlose Dinge, zu denen Männer oder nichtrauchende Frauen niemals fähig wären.« Das ist perfekt gesagt. Tatsächlich eint das sinnlich verschlampte Weib, die stilvolle Dame und jede andere anständig rauchende Frau eine außerordentliche Fähigkeit: Sie sind jederzeit bereit, mit der brennenden Zigarette in ein Kaninchenloch zu fallen, um dort ihr verlottertes, apartes, geheimnisvolles oder eben nobles Stück aufzuführen.
Selbstredend weiß jede Dame den Eindruck zu erwecken, sie hätte, wie alles andere, auch das Rauchen unter Kontrolle und wisse genau, wo, zu welcher Stunde und mit welchem Gegenüber es angebracht ist, sich bewusst einer Zigarette zu widmen. Sich in jeder Umgebung und Gesellschaft adäquat verhalten zu können, ist ihr selbstverständlich. Sie ist zu einer ganzheitlichen Persönlichkeit gereift. Mit ihrer Zigarette jedoch – gleich, wie formvollendet sie genossen wird – vermittelt eine Lady unterschwellig immer auch die Botschaft: »Nun, meine Lieben, tatsächlich ist es mir vollkommen schnurz, was die Allgemeinheit als schicklich empfindet – ich selber befinde, was angemessen ist.«
Ebenso wie das Lotterweib beruft die Dame sich mit jeder Zigarette auf die Geister der Vergangenheit: auf den extravaganten Dandy, der um die Jahrhundertwende rauchend seinen Habitus verfeinerte. Auf das selbstbewusste flapper girl (wie hübsch, nebenbei: flapper – jemand, der umherflattert) der 20er-Jahre mit kurzem Rock und Bubikopf, das die Kippe nutzte, um zu provozieren. Und auf Greta Garbo, Marlene Dietrich und Rita Hayworth, Filmdiven der 30er- und 40er-Jahre, Vamps, Außenseiterinnen im Zwielicht, gekonnte Raucherinnen.
Es ist mit dem Rauchen wie mit der Quantenphysik: Man begreift die ganze Geschichte und weiß sie geschickt zu handhaben – oder eben nicht. Wer jedoch das Talent hat zu rauchen, kann mit Zigaretten tun, was ihm beliebt. Mühe- und scheinbar absichtslos. Unbedingt gehört dazu, einem Mann Rauch ausstoßend zu signalisieren, wie fasziniert man seinen Ausführungen folgt. Auch ein scharfer, kurzer Zug, kombiniert mit einem belustigten Blick, kann Enormes bewirken. Wenn zeitgleich auch der Herr auf schmissige Weise zu rauchen versteht, funktioniert das Spiel wie Flamencotanzen, nur weniger aufwendig.
In erster Linie jedoch erlaubt die Kippe es der gewandten Raucherin, eindringlich nichts zu tun und dabei allerhand zu erleben. »Selbstverständlich rauche ich unaufhörlich«, schrieb Oscar Wilde. »Zigaretten sind die Fackeln der Selbsterkenntnis und unter ihrem Einfluss kann ich mich aus der Welt in eine Sphäre privater Eindrücke zurückziehen.« Selbst dann also, wenn eine Frau in Gesellschaft nach außen hin präsent und zugewandt raucht, ist es ihr doch möglich, dabei unbemerkt abzutauchen und loszulassen. Das ähnelt dem famosen Gefühl, das wiegende Unterwasserpflanzen wohl haben mögen. Die Raucherin schwingt innerlich umher, um schließlich beim Ausdrücken der Kippe wieder zu sich zu finden. Man darf diesen Vorgang auch mit einem kleinen Retreat vergleichen.
Man raucht niemals, als salonfähige Frau: im Gehen auf der Straße. Außer es regnet und es ist irgendetwas Entsetzliches passiert, das das Leben vollkommen durcheinander gebracht hat. Hastiges, nervöses Rauchen überall, zu jeder Zeit, ist auch aus Ängstlichkeit erlaubt. Aus Überforderung, Ratlosigkeit, Kummer, Verzweiflung. Oder wenn man eine unerträgliche Person niederstarren muss. Grauenvolle Tref-fen mit einfältigen Familienangehörigen, die einen nachdrücklich verstören; Affären, die sich urplötzlich bizarr entwickeln; Finanzbeamte, die einem unmögliche Dinge abfordern – jedes intensive, schwer zu ertragende Gefühl gestattet eine Zigarette.
Wer gestrandet ist oder verloren, wer tapfer weitermachen muss mit was auch immer – der muss etwas atmen, das schmerzhafter in den Lungen brennt als reine Luft. Ganz abgesehen von den weniger dramatischen, aber doch strapaziösen Momenten, die Damen an ihre Grenzen bringen. Bei manch privater oder beruflicher Zusammenkunft bewahrt nur die hastig gerauchte Zigarette auf dem Balkon davor, nicht eines der anwesenden Spatzenhirne zu fragen: »Und was machen Sie sonst so, außer Ihr aufgepumptes Wohlgefühl zu pflegen?«
Was soll man rauchen? Nun, es ist wie mit allen wirklich guten Dingen: Am besten ist je-ner Tabak, der nicht mehr erlaubt ist. Exquisite Sorten aus Virginia, über allen Grenzwerten liegend und deshalb lange nicht mehr erhältlich. In den 90er-Jahren genoss der leidenschaftliche Gentleman Player’s Navy Cut. Es waren starke, aromatische Herrenzigaretten, filterlos, mit einer interessanten ovalen, abgeflachten Form. Sie rochen nach Kavalieren, die sich auf Reisen nach Übersee begeben, um dort wichtige Geschäfte zu erledigen. Die Dame rauchte Sweet Afton, harmonisch süß, seit 1919 auf dem Markt und nach einem Gedicht von Robert Burns benannt. Auf der eleganten Schachtel befanden sich ein gezeichnetes Porträt des Dichters und die ersten Zeilen seiner Ode an ein schottisches Flüsschen: »Flow gently, Sweet Afton, among thy green braes; Flow gently, I’ll sing thee a song in thy praise«.
Draußen vor dem Fenster graut der Morgen. Auf dem Plattenspieler dreht sich jetzt am besten Gustav Mahlers »Ich bin der Welt abhanden gekommen«, es sind die letzten Klänge aus Jim Jarmuschs poetischem Film »Coffee and Cigarettes«: »Ich leb’ allein in mir und meinem Himmel, in meinen Lieben, in meinem Lied.« Zeit für eine letzte Zigarette vor dem Schlafengehen. Zeit für die erneute, immerwährende Suche nach einem kurzen Augenblick des Glücks. Hin und wieder findet er sich tatsächlich. Meist aber geschieht nicht mehr, als dass der Rauch einen Moment lang Kamerad in der Einsamkeit ist.
Die Redaktion weist darauf hin: Unsere Autorin hat sich vehement geweigert, eine warnende Anmerkung zu den gesundheitsschädlichen und möglicherweise todbringenden Folgen des Rauchens in ihren Text einzubringen.