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Ich vermisse ihn furchtbar, während ich das hier schreibe, in jeder Minute der Tage, in den Nächten sowieso, seit Wochen habe ich ihn nicht gesehen und mich quält der Gedanke, dass er mich verlassen könnte, vielleicht sogar sterben, und dann würde ich ihn nie mehr wiedersehen.
Es wäre um einiges leichter, diese Romanze zu erzählen, würde ich einen Mann meinen, aber das tue ich nicht, ich meine ein Auto, aber gerade das ist er ja nicht, er ist viel mehr als das, er ist fahrende Handtasche, Wirklichkeit gewordene Chaostheorie, blechernes Andenken vergangener Zeiten, Rückzugsort und Zuhause in einem: mein Saab 900.
Zusammengesackt, mit kaputter Felge und toter Batterie musste ich ihn gerade umständlich abschleppen lassen. Ersatz für die Felge war schwer aufzutreiben, was zu quälenden Wochen der Unsicherheit führte, in denen ich mich bange fragte, ob er durchhalten würde; ob die reinzusteckende Geldmenge seinen materiellen Wert bald um ein Vielfaches übersteigen würde. Dabei ist er jünger als ich, Baujahr 92.
Unsere Geschichte begann beiläufig. Dem ersten Auto, das ich besaß, einem schrammeligen, mattweißen Mercedes, hatte ich im Gebirge nachhaltig die Bremsen zermahlen, und so übernahm ich nach und nach den dunkelblauen Saab meiner Eltern – ein doppelt antirevolutionärer Akt: Erben heißt null Rebellion, dann auch noch ein elegantes Intellektuellenmobil, den stillen Schrecken von jedem, der aus der Generation kommt, die sich gegen ihre Eltern nicht durchsetzen musste, weil die selbst schon so viel durchgesetzt hatten.
Mit dem Saab hatten sie alles richtig machen wollen, inklusive der Fehler, die konsequent durch weitere Fehler ausgeglichen wurden. Kein Autokenner würde sich je mit dieser Felgenverkleidung sehen lassen, statt Ledersitzen gab es nur die Veloursbespannung, und natürlich fehlt der Turbolader. Irgendwann war der Dachhimmel, der einem im Laufe der Jahre immer weiter in die Frisur gesackt war, mit dem raupelzigen Material aus dem Fußraum bespannt worden. Von außen unaufdringlich formschön und geschwungen, sah der Saab von innen aus wie ein struppiger Panda.
Das entsprach der familiären Tradition: Ich selber hatte die Antenne in der Waschstraße abgefahren, der von mütterlichen Zigaretten überquellende Aschenbecher war, nie geleert, überlastet weggebrochen, und zuletzt hatte, weil es reinregnete, jemand wohlmeinend das Schiebedach von innen mit schwarzglänzendem Tape abgeklebt, weshalb der Saab heute nicht mehr aussieht wie ein Panda, sondern wie ein durchnässter SM-Panda.
Warum ich überhaupt ein eigenes Auto bräuchte, fragte ein Freund, als der Saab wieder einmal in der Reparatur war, es gäbe doch Carsharing. Aber das ist keine Lösung, das verspricht keine Intimität, und wenn doch, dann gleich zu viel – entweder es riecht dröge nach Lederimitat oder eklig, als hätte jemand ein Kilo Krabben durch die Belüftungsschlitze gedrückt. Jedenfalls riecht es nie nach diesem heimeligen Gemisch aus kaltem Rauch, Velours und ungesund viel Benzin. Es ist ein philosophischer Unterschied: entweder reine Gegenwart oder angereicherte Geschichte, entweder Objekt zum Gebrauch oder Subjekt mit Charakter.
Es gab eine Zeit, da war das Auto nicht einfach Transportmittel, da ging es, hoffnungsvoll, um mehr: Das ganze Leben sollte sich durch das neue Gefährt verändern. Auf Titelseiten der dame aus den 20er Jahren sieht man oft Frauen allein am Steuer, auf einem Selbstporträt von Tamara de Lempicka fährt eine Blonde mit klaren Augen in ihre Zukunft. Auf einer anderen Illustration nimmt eine Kurzhaarige die Hände vom Lenkrad, um ihren Puder aufzufrischen; es ist eine lässige Verbindung von Selbstbestimmung und Schönheit, die im Auto passiert – die Frau wird zur Heldin ihrer eigenen Geschichte, ohne dabei gleich zum Mann zu werden.
Niemand muss sein Auto metaphysisch überhöhen, aber in Zeiten, in denen die Fähigkeit zählt, hyperschnell zu leben und gleichzeitig immer wieder Ruhe zu finden, kann man sich das Auto als perfekten Ort vorstellen: da, wo man wirklich bei sich ist, getrennt von der Welt und doch immer noch Teil von ihr. Dass einen das Ganze dann noch transportiert, kommt angenehmerweise dazu. Zumindest dann, wenn das Auto auch fährt.