-
Porträt
Die Neuen
Text Jenny Hoch
Foto Jonas HolthausDrei Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten.
Was Adolphe Binder, Susanne Kennedy und Gabi Ngcobo jedoch verbindet, ist ihre lässige Souveränität. Und dass
alle drei traditionsreiche Posten im deutschen Kulturbetrieb besetzen. Dort machen sie einiges ganz anders.Hide TextEin Tonstudio in einem Hinterhaus in Berlin-Wedding. Es ist 10 Uhr morgens, Susanne Kennedy sortiert noch schnell die Zettel mit dem englischen Text, der gleich eingesprochen werden soll. Sie trägt Jeans und Turnschuhe, und wie ihr Kleidungsstil wirken auch ihre Gesten: praktisch, effizient, uneitel. Im November hat ihre Inszenierung »Women in Trouble« an der Berliner Volksbühne Premiere, dafür lässt sie einige Passagen auf Band aufnehmen. Als der Sprecher, ein schüchterner Amerikaner, zur Tür hereinkommt, ist er unschlüssig: Wer von den anwesenden Frauen ist denn nun die Chefin? Er hat Susanne Kennedy offensichtlich noch nie gesehen. Und da die 40-Jährige mit den himmelblauen Augen keine Zeit mit Small Talk verliert, sondern ihm sofort seinen Platz zuweist, lässt sich sein Erstaunen nur von seinen Augen ablesen: Wie kann es sein, dass die gefragteste Regisseurin ihrer Generation so wenig Aufhebens um sich macht?
Adolphe Binder betritt das Café Sorgenfrei, das mit 50er-Jahre-Flohmarktmöbeln eingerichtet ist, und bestellt Erdbeerkuchen. In ihrem hellgrauen Anzug mit Weste im Garçonne-Stil wirkt sie lässig, wie eine Frau, die ihre bemerkenswerte Karriere selbst nicht besonders bemerkenswert findet. Seit Mai leitet sie als Intendantin das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, die wohl berühmteste Tanzkompagnie der Welt. Dessen Gründerin wird verehrt wie eine Heilige, nach ihrem plötzlichen Tod vor acht Jahren entstand ein künstlerisches Vakuum, das bisher niemand füllen konnte. Fragt man Adolphe Binder, die selbst weder tanzt noch jemals ein Stück choreografiert hat, wie sie diese Herausforderung bewältigen will, antwortet sie: »Es geht nicht darum, Pina Bausch zu ersetzen, man kann sich ihrem genialen Werk nur annähern.«
Gabi Ngcobo kommt gerade von einer Reise zum Athener Teil der Documenta und zur Biennale von Venedig zurück. Seitdem die Südafrikanerin zur Kuratorin der 10. Berlin Biennale ernannt wurde, die kommenden Sommer stattfinden wird, ist ihr Zeitplan eng getaktet: Reisen, Atelierbesuche, Diskussionen mit Künstlern. »Ich versuche trotzdem, auch noch Menschen aus anderen kreativen Bereichen zu treffen«, sagt sie bei einem Gespräch im Innenhof der Kunst-Werke in Berlin-Mitte. Wenn man sie fragt, wie man das eigentlich anstellt, ein Konzept für eine experimentelle Ausstellung zu entwickeln, die sich als internationale Plattform und gleichzeitig als lokales Ereignis versteht, bricht sie in Gelächter aus und sagt: »Ich bitte andere um Hilfe.«
Drei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber eines gemeinsam haben: Sie besetzen traditionsreiche Posten im deutschen Kulturleben. Posten, die bisher vor allem Männern vorbehalten waren. 2015 saßen in Deutschland 412 Männer auf Intendantenstellen und gerade einmal 114 Frauen. In anderen Bereichen sieht es nicht besser aus. Regisseur, Intendant, Ausstellungsmacher – das sind offenbar immer noch Karrieren für Kerle, für Männer mit Machtinstinkt und Ellbogen, die niemals zugeben würden, dass sie Hilfe brauchen. Die sich niemals freiwillig in die zweite Reihe stellen würden, und in deren Anwesenheit niemals auch nur für eine Sekunde unklar wäre, wer der Chef im Ring ist. Susanne Kennedy, Adolphe Binder und Gabi Ngcobo sind anders. In Anbetracht der Aufgaben, die sie übernommen haben, wirken sie erstaunlich gelassen. Wie man das Sprechtheater rettet, ein legendäres Tanz-Ensemble in die Zukunft führt und die Welt nach Berlin holt, steht nirgendwo geschrieben. Es gibt keine Muster und kaum Vorbilder.
Gabi Ngcobo drängt sich nicht auf. Die 42jährige lebt in Johannesburg, ihre Muttersprache ist Zulu. Sie gilt als stiller Star der globalen Kuratorenszene. Neben ihrem Job als Unidozentin gründete sie die zwei politischen Kunstplattformen NGO – Nothing gets Organised und CHR – Center for Historical Reenactement, vergangenes Jahr ko-kuratierte sie die Biennale von São Paulo. Sie hat sich inzwischen eine Wohnung in Berlin genommen, zum Interview trägt sie eine bunte, mit geometrischen Mustern bedruckte Bluse. Typisch afrikanisch, möchte man meinen, was natürlich nicht stimmt.
Die Technik der Waxprints stammt ursprünglich aus Indonesien und wurde im 19. Jahrhundert von afrikanischen Söldnern der niederländischen Ostindischen Kompagnie nach Westafrika gebracht, wo sie schnell populär wurde. Die Bluse ist also ein subtiles Statement: Der Kolonialismus ist überall, sogar auf unseren Körpern.
Gabi Ngcobo spricht leise und auch ein wenig distanziert, ihre Ray-Ban-Sonnenbrille behält sie während des Gesprächs auf. Doch was sie sagt, ist einigermaßen radikal: »Ich möchte einen Ort ohne Hierarchien erschaffen.« Daher hat sie ein vierköpfiges Kuratorenteam ernannt, ihre Mitstreiter stammen aus Uganda, Brasilien, den USA und Deutschland: »Ich brauche gleichberechtigte Gesprächspartner und Zeugen.«
»Apartheid und Postkolonialismus sind nicht einfach Themen, die man abhakt, sondern ein Zustand, der uns alle angeht.«
Ihr Interesse gilt der Geschichte, vor allem deren Neubetrachtung. »Wir in Südafrika haben mit der Apartheid eine problematische Vergangenheit und versuchen, uns irgendwie damit auseinanderzusetzen. Nach 1994 wurden dazu Museen eingerichtet, aber letztendlich erscheint die Erinnerung dort in gentrifizierter Form.« Die Strategie, die Gabi Ngcobo verfolgt, ist das genaue Gegenteil: Sie möchte die Apartheid und die Kolonialgeschichte des afrikanischen Kontinents nicht aufarbeiten, um sie anschließend als erledigt betrachten zu können, sondern einen Denkprozess in Gang bringen: »Apartheid und Postkolonialismus sind nicht Themen, die man abhakt, sondern ein Zustand, der uns alle angeht. Das lässt sich nicht isoliert betrachten.« Nicht in Afrika und nicht in Berlin.
Was die Besucher auf der nächsten Hauptstadt-Biennale zu sehen bekommen werden, dazu schweigt sie noch. Man werde »unterschiedliche, bisweilen sogar gegensätzliche Lesarten historischer und gegenwärtiger Situationen präsentieren«, heißt es vage auf der Webseite. Statt Antworten werde es »Politiken der Undurchsichtigkeit« geben, »selektive Prozesse«, »nicht-hierarchische Positionen«. Diese Form der theoriesatten Politkunst ist extrem angesagt – und höchst umstritten. Einer der Vorgänger von Gabi Ngcobo in Berlin, Adam Szymczyk, hat das in diesem Jahr als Kurator der Documenta durchexerziert, und das Magazin Texte zur Kunst lebt davon. Allerdings funktioniert diese Kunst oft nur innerhalb eines kleinen Zirkels von Kennern. Gabi Ngcobo betont, sie habe das Publikum deshalb auch schon bei früheren Arbeiten aktiv einbezogen: »Leider bleibt es oft passiv, aber ich versuche, es teilhaben und seine eigene Stimme finden zu lassen.«
Auch Susanne Kennedy fordert die Zuschauer heraus. Die Schauspieler tragen Silikonmasken, ihre Stimmen kommen vom Band oder werden von Laien gesprochen, mehr Verfremdung geht nicht. »Der Mensch wird auf dem Theater immer noch als Krönung der Schöpfung dargestellt, als in sich stimmig, dem humanistischen Ideal des 19. Jahrhunderts entsprechend. Ich habe da ein großes Fragezeichen«, sagt die 1977 in Friedrichshafen am Bodensee geborene Regisseurin, »das heißt aber nicht, dass ich nicht zutiefst menschliche Dinge untersuchen will.« Ihre Themen reichen von den Nöten des Erwachsenwerdens über die Angst vor dem Tod bis hin zu der Frage, ob man seiner eigenen Wahrnehmung trauen kann.
»Es geht um die Suche nach einer eigenen Stimme, einem neuen Bewusstsein.«
In »Women in Trouble«, der Inszenierung, an der sie gerade arbeitet, werden die Zuschauer einer Schauspielerin zusehen, die sich selber spielt, ob in einem Film, im Theater oder einer Reality Show, bleibt unklar. Sie erkrankt an Krebs, stirbt, wird wiedergeboren – und alles geht in einer Variation von vorne los. »Es geht mir um die Suche nach einer eigenen Stimme, einem neuen Bewusstsein«, sagt Susanne Kennedy. Mit lifestylekompatibler Selbstfindung jedoch hat das nichts zu tun, eher mit einer Variante des Konzepts des Posthumanismus, das die italienische Philosophin und Feministin Rosi Braidotti entwickelt hat: »Es geht um konstantes Werden, Frau werden, Tier werden, Stein werden, Pflanze werden, alles ist im Fluss, untereinander verbunden. Das geht so weit, dass es ›das Andere‹ nicht gibt und alles egalitär nebeneinander existiert.«
Susanne Kennedy, die ihren Nachnamen ihrem schottischen Vater verdankt, spricht leidenschaftlich von ihrer Arbeit – kaum zu glauben, dass es ein Zufall war, der sie zum Theater brachte. »Ich wollte irgendwas mit Kultur machen.« Aber Regisseurin werden? »Habe ich mich lange nicht getraut«. Als ein Bekannter sich an der Kunsthochschule in Amsterdam bewarb, beschloss sie, es ebenfalls zu versuchen. Sie wurde genommen, studierte Regie und lebte dann noch fast ein Jahrzehnt in den Niederlanden. In Deutschland legte sie dann eine Blitzkarriere hin.
Doch während die Theater sich um sie reißen, macht sie sich rar, aus Prinzip und ihrer zweijährigen Tochter zuliebe: »Ich mache nicht mehr als zwei Inszenierungen im Jahr, ich weiß nicht, wie andere Regisseure mehr schaffen. Außerdem können mein Lebensgefährte und ich uns auf diese Weise alles gut aufteilen, sonst werden wir als Familie zum reinen Organisationsbetrieb.« Das Selbstbewusstsein, interessante Angebote abzulehnen, habe sie aber erst aufbauen müssen, gibt sie zu. Nach weiblichen Vorbildern sucht sie bisher vergeblich: »Leider gibt es in meinem Bereich immer noch sehr wenige.«
Ihre erste Inszenierung im November an der Volksbühne ist daher eine ganz besondere Premiere: »Auf der großen Bühne haben bisher kaum Frauen inszeniert«, erzählt sie. Einschüchtern lässt sie sich davon nicht: »Ich sehe das als lustvolle Herausforderung, der ich mit dem Gefühl begegne: Ha, jetzt komme ich!« Mit diesem Gefühl stellt sie sich mittlerweile auch der nahezu hysterischen Ablehnung, die dem neuen Volksbühne-Intendanten Chris Dercon in Berlin entgegenschlägt, und damit auch ihr als Hausregisseurin: »Anfangs musste ich ganz schön schlucken, inzwischen empfinde ich es als aufregendes Spiel.«
An diesem Konflikt erkenne man, wie wenig sich im deutschen Theater getan habe. »Auch für mich war Frank Castorf ein wichtiger Einfluss, aber zu behaupten, seine Arbeit ist immer noch Avantgarde, ist so, als würde man die Rolling Stones immer noch als das Nonplusultra bezeichnen.« Für sie persönlich habe der Theaterstreit dabei sein Gutes: »Früher bin ich davon ausgegangen, dass meine Arbeit für sich spricht. Aber weil wir ständig angeblafft wurden, wir sollten unsere Haltung offenbaren, war ich gezwungen, meine Position ganz neu zu überdenken: Wo stehe ich? Wie definiere ich mich politisch?«
»Wir sind kreative Menschen. Wir alle haben Lust, Neues auszuprobieren.«
Adolphe Binder kann es nicht leiden, wenn sie in der Presse »Kulturmanagerin« genannt wird: »Ich habe Literatur und Politik studiert und als Dramaturgin gearbeitet, ich denke vor allem inhaltlich.« Sie wurde 1969 als Siebenbürger Sächsin in Rumänien geboren und emigrierte mit ihren Eltern Ende der 70er nach Deutschland. Da war sie zehn, und ein Leben in Deutschland schien die Offenbarung zu sein. »In meiner Vorstellung war es ein Hoffnungsland, es leuchtete«, erzählt Adolphe Binder und wirft ihre langen dunkelbraunen Locken zurück. »Aber es leuchtete halt nicht.« Die Familie fand sich im nasskalten Hannover in einem Flüchtlingslager wieder. »Ich hatte Heimweh, und das Gefühl der Ohnmacht, des Nicht-Lenken-Könnens, das war schon brachial.«
Nach dem Studium fing Adolphe Binder als Dramaturgin am Theater an und machte sich danach in unterschiedlichen Kulturjobs einen Namen als tatkräftige Erneuerin. »Ich kam spät zum Tanz«, sagt sie, »meine Idee davon ist eng mit dem Sprechtheater und der Bildenden Kunst verbunden.« Dass sie heute eine der wichtigsten Positionen in dieser Branche innehat, hängt vermutlich auch mit ihrer Migrationsbiografie zusammen: Wer einmal erlebt hat, wie es sich anfühlt, zur Passivität gezwungen zu sein, behält die Zügel lieber fest in den Händen.
Man muss nicht übermäßig viel vom Tanztheater verstehen, um zu ahnen, dass Binder in ihrem neuen Job viel Fingerspitzengefühl brauchen wird. Denn das Tanztheater Wuppertal ist ein eigenes Universum. Vieles läuft dort anders als im klassischen Ballett. Während eine Tänzerkarriere normalerweise mit spätestens 30 beendet ist, hat das Ensemble deutlich ältere Mitglieder, die seit Jahrzehnten dieselben Choreografien tanzen, die sie einst zusammen mit Pina Bausch entwickelten. Überhaupt: Man war lange darauf fokussiert, ausschließlich die 44 Werke der Meisterin aufzuführen und auf internationalen Tourneen zu zeigen. Undenkbar, andere Künstler zu engagieren.
Für ihre erste Saison jedoch hat Adolphe Binder neben Stücken von Pina Bausch gleich zwei abendfüllende Arbeiten fremder Choreografen ins Programm gehoben. »Mein Gefühl ist, dass ich ein sehr gutes Verhältnis zum Ensemble habe. Das sind kreative Menschen, wir alle haben Lust, Neues auszuprobieren«, sagt sie. Ihren Auftrag, die Balance zwischen Tradition und Erneuerung zu wahren, nimmt sie dennoch ernst: »Ich bin immer wieder begeistert, wie heutig Pina Bauschs Werk ist. Diese Wissbegier, diese Neugier auf Menschen, die Lust, die Dinge zu betrachten und zu durchschauen, das ist einzigartig!«»Ich suche nach Vorbildern, aber leider gibt es in meinem Bereich immer noch sehr wenige.«
Wer Erfolg hat, muss mit Gegenwind rechnen, und den sollte man aushalten können. Susanne Kennedy erzählt, sie sei als junge Frau von Technikern nicht für voll genommen worden, wenn sie ihnen ihre komplexen Bühnenideen erläuterte. Von Schauspielern sei sie in eine Lehrerinnenrolle gedrängt worden: »Die kamen demonstrativ zu spät und hatten ihren Text nicht gelernt, so dass ich sie tadeln musste«. Doch das passiere heute nicht mehr. »Auch, weil ich mein Universum so abgesteckt habe, dass was ich will zwingend ist.«
Neider gebe es überall, sagt auch Adolphe Binder, »damit muss man umgehen.« Über sich selbst sagt sie, dass sie mit ihrer fordernden Art bisweilen auf Widerstände treffe: »Ich habe festgestellt, dass das als maskulin empfunden wird, und wenn es von einer Frau kommt, als negativ bewertet wird.« Und doch hört sie von Tänzerinnen, dass es einen großen Unterschied für sie macht, dass nach einigen Interimschefs nun wieder eine Frau für sie da ist.
Gabi Ngcobo hat von den dreien die radikalste Strategie gewählt, wenn es darum geht, ihr Bild zu gestalten. Sie gibt nichts Privates preis, ihre offizielle Biografie ist auf berufliche Stationen beschränkt. Fragt man sie, ob sie aus einer kunstbegeisterten Familie stamme, antwortet sie: »Keine Ahnung, ich habe mit ihr nicht darüber gesprochen«, und verschränkt die Arme. Auf Stereotype aller Art reagiert sie allergisch, vermutlich wurde sie ein paar Mal zu oft gefragt, ob es ihr Ziel sei, afrikanische Kunst hierzulande bekannt zu machen. »Von einer europäischen Kuratorin oder einem europäischen Kurator erwartet man doch auch nicht, dass sie europäische Kunst zeigen.«
Je länger man Susanne Kennedy, Adolphe Binder und Gabi Ngcobo zuhört, desto deutlicher wird: Die Größe dieser drei Frauen besteht darin, dass sie sich auch mal klein machen können – wenn es der Sache dient. Sie sind unabhängig im Denken und nutzen ihre Macht nicht um ihrer selbst willen, sondern um »wirkmächtig« zu handeln, wie es Adolphe Binder formuliert. Das klingt vielleicht wie ein kleiner Unterschied, aber es ist einer mit weitreichenden Folgen. Denn um etwas zu bewegen, muss man bereit sein, sich infrage zu stellen. Nur so entsteht Neues. Nur so entsteht Kunst.
Continue ReadingBack to Overview